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Pflege soll besser bezahlt werden. Dafür sollen nur die ambulanten Pflegedienste und Pflegeheime zugelassen werden, die nach Tarif oder tarifähnlich bezahlen.“ Unter Berücksichtigung, dass mehr als 70 Prozent der Kosten von Pflegeeinrichtungen auf Personalausgaben entfallen und neben den Löhnen auch der Personalzuwachs forciert werden soll, ist hier eine absolute Kostenexplosion zu erwarten. Für den Pflegebedürftigen unerheblich, seine Eigenanteile werden zukünftig gedeckelt, für das Pflegeversicherungssystem, m. E. ein unüberschaubares Risiko.

Deckelung des Eigenanteils für die Pflegeheimkosten

Die Pflegereform 2021 beinhaltet eine Deckelung des Eigenanteils für die Kosten bei Unterbringung in einem stationären Pflegeheim. Diese soll bei höchstens 700 Euro monatlich liegen und zwar für einen Zeitraum von maximal 3 Jahren, also eine Begrenzung der Zahlungspflicht auf längstens drei Jahre.

Aktuell liegt der Betrag bei 786 Euro, den Pflegebedürftige für die Unterbringung in einem Heim pro Monat selbst zahlen mussten. Das ist aber nicht alles, dazu kommen bisher noch Kosten für die Unterbringung sowie die Verpflegung und Investitionskosten. Damit lagen wir zum 1.7.2020 bei einem bundesweiten Schnitt von 2.015 Euro monatlich

Die Deckelung bezieht sich aber  nicht auf diese Gesamtkosten sondern auf den einheitlichen Eigenanteil für die Pflegekosten. Der Kostenanteil für die Verpflegung und die Unterbringung (im Schnitt  774 Euro)  und die Investitionskosten (455 Euro im Schnitt), sind von der Deckelung nicht betroffen.

Die Investitionskosten sind  Ländersache,  sie sollen einen monatlichen Zuschuss zu den Investitionskosten von 100 Euro leisten. Angemessen deshalb weil die Bundesländer bei der Sozialhilfe aufgrund der Deckelung um knapp eine Milliarde Euro entlastet werden. Frei werdende Mittel die also zur Finanzierung dieser 100€ verfügbar sind, besser gesagt sein werden.

Frage: Wenn ich als Heimbetreiber weiß, dass meine Kunden fixe Eigenanteilgrenzen haben, bin ich dann noch darauf bedacht Kostendisziplin an den Tag zu legen oder eher motiviert zu Lasten der Allgemeinheit meine Marge zu optimieren?

Eine neue Internetplattform soll die Suche nach freien Plätzen erleichtern, dort werden die Pflegeeinrichtungen ihre freien Kapazitäten jeden Tag aktuell melden müssen.

Pflegebedürftige, die zu Hause betreut werden, erhalten ab 01. Juli 2021 ein um 5 Prozent erhöhtes Pflegegeld. In PG3 bedeutet das ein + von 27,25. Das reicht nicht einmal um die Mindestlohnsteigerung aufzufangen.   Diese 5% Steigerung betrifft Pflegegeld und die Pflegesachleistungen. Pflegegeld erhalten die die zu Hause von Angehörigen gepflegt werden oder z.B. einen 24h Pflege Anbieter beauftragt haben. Pflegesachleistungen erhalten Pflegebedürftige, die zu Hause von einem ambulanten Pflegedienst gepflegt werden.

Konkret gibt es für die einzelnen Pflegegrade folgende Zuschläge:

Im Pflegegrad 3 steigt das Pflegegeld also von bisher 545 Euro auf 572 Euro und die Pflegesachleistungen von derzeit 1.298 Euro auf zukünftig 1.363 Euro.

Die neue Pflegereform 2021 erhöht auch die Pauschale für Pflegehilfsmittel, die jetzt in Corona Zeiten bereits erhöht wurde, dauerhaft auf 60/Monat. Sowohl bei den Anbietern als auch bei den Nachfragern von Pflegeleistungen geht das gegen Kostenbewusstsein und Eigenverantwortung beim verbrauch. Bereits jetzt türmen sich Verbrauchsmaterialien teilweise bei Pflegebedürftigen und den Angehörigen weil sie automatisiert zugestellt werden und kostenneutral sind.

Bei der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege wird es eine Zusammenfassung der Leistungen geben, womit Angehörige, die selbst pflegen, über das Entlastungsbudget von 3.300 Euro pro Jahr selbst verfügen können. Es werden die bisherige Verhinderungspflege sowie die Kurzzeitpflege vereint. Beides zusammengefasst bedeutete bisher für pflegende Angehörige eine jährlich einmal gezahlte Entlastung von 2.418 Euro. Mit dem neuen Entlastungsbudget erhöht sich diese Zahlung jetzt auf jährlich 3.300 Euro. Also eine deutliche Anhebung der Leistungen.

Die stundenweise Inanspruchnahme der Verhinderungspflege soll künftig auf 40% reduziert werden. Damit wird, wenn man es ehrlich darstellt, über die Hälfte der Entlastung bei stundenweiser Verhinderung der Pflegeperson über die Leistung der Verhinderungspflege wegfallen. Anerkannte stundenweise Betreuer können künftig Leistungen, die den Entlastungsbetrag von 125,- monatlich übersteigen, entweder nicht erbringen oder müssen diese privat in Rechnung stellen.

Also hier keine Reform sondern ein Rückschritt – wieder zu Lasten der ambulanten Versorgung.

Die aktuell noch gültige  Vorpflegezeit für Angehörige von 6 Monaten wird abgeschafft. Bisher war diese verpflichtend, bevor die Verhinderungspflege beantragt werden konnte. Nun können Pflegebedürftige und ihre Angehörigen die Leistungen noch individueller und konkreter an die Bedarfssituation anpassen.

Auch auf die 24h Betreuung oder Pflege wird Bezug genommen.

Neben dem marginalen 5% Anstieg des Pflegegeldes können unter bestimmten Bedingungen bis zu 40 Prozent des Betrages der Pflegesachleistungen umgewandelt werden können.

Was die Bedingungen genau sind ist noch nicht absehbar, ich persönlich erwarte aber, dass diese an Qualitätsmanagements mit Fachkräften gekoppelt sein werden. Das würde auch zu den Bestimmungen der neuen DIN SPEC 33454 Betreuung unterstützungsbedürftiger Menschen durch im Haushalt wohnende Betreuungskräfte aus dem Ausland – Anforderungen an Vermittler, Dienstleistungserbringer und Betreuungskräfte, passen.

Ich verstehe das so, dass es eine Art Kombinationsleistung ist.

Wenn wir mal aktuell schauen was das bedeuteten würde: PG3 aktuell 545.-/ 60% sind 327.-

1.298 Sachleistungen / 40% sind 519,20.- SUMME 846,20.- Das macht pro Monat einen Anstieg von 301,20.- aus. Das wäre für Kunden der 24-Stunden Pflege natürlich eine wichtige und notwendige, längst überfällige Entlastung und würde sicher auch in der Folge Sozialämter entlasten und helfen den Schwarzmarkt auszutrocknen.

Interessant zu beobachten wird es auch sein, wie die neue Leistung, die als „Übergangspflege nach einem Krankenhausaufenthalt“ bezeichnet wird und Bestandteil der Gesetzlichen Krankenversicherung ist, ausgestaltet wird.

Menschen sollen zudem animiert werden sollen, eine private Pflegeversicherung abzuschließen. Der Staat fördert diese satt mit 5 Euro monatlich, in Zukunft mit 15 Euro pro Monat. Daumen hoch an dieser Stelle!

Die Pflegeversicherung ist damit aber keine Vollversicherung sei, die alle Kosten im Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit trägt.

Die Zahl der Leistungsempfänger der Pflegeversicherung hat sich bis 2019 von 1,546 Millionen auf 3,999 Millionen mehr als verdoppelt, eine Folge des PSG II mit seinem erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff. Die Beiträge sind im selben Zeitraum von 11,9 Milliarden Euro auf 46,5 Milliarden Euro und die Ausgaben von 10,3 Milliarden Euro auf 40,7 Milliarden Euro angewachsen.

Reagiert wurde, wie könnte es anders sein, mit einer Anhebung der Beitragssätze.  

Da die Pflege in Corona-Zeiten besondere im Fokus ist, kann man mit einer breiten Zustimmung der Bevölkerung bei weiteren finanziellen Belastungen der Beitragszahler rechnen. Gutes Timing also an dieser Stelle.  Absehbar ist, dass eine Finanzierung der Mehrkosten über höhere Beiträge zur Pflegeversicherung  nicht nur minimal sondern deutlich ausfallen muss, in einem Wahljahr schwer zu vermitteln, es sei denn eine Pandemie fördert die Zustimmung bei der Bevölkerung.

Die Eigenanteil-Deckelung in stationärer Unterbringung kann motivieren diese ambulanten Versorgungsformen gegenüber vorzuziehen. Das ist zwar nicht im Sinne des zu Pflegenden, macht Pflegesituationen aber besser finanzierbar. Konterkariert aber den Ansatz ambulant vor stationär und könnte nur umgangen werden, wenn es wirkliche Wahlfreiheit unabhängig von Eigenanteilen geben würde. Also kostentechnische Parität zwischen beiden Versorgungsformen. Davon werden wir aber auch durch diese Reform noch weit entfernt sein.

Wenn sich also die bisherige Aufteilung von ca. 80 zu 20 ambulant zu stationär aus diesen Gründen zu Ungunsten der Versorgung im häusl. Umfeld verschiebt, steigen die Kosten für die Allgemeinheit noch mehr.

Um den Beitragssatz zur Pflegeversicherung nicht anheben zu müssen gibt es alternativ die Möglichkeit einer Finanzierung aus dem Bundeshaushalt, also durch Steuerzahler. Ungefähr 6 Milliarden Euro pro Jahr werden benötigt, laut dem Bundesgesundheitsminister. 3 Milliarden Euro durch Deckelung der Eigenanteile, 2 Milliarden Euro wegen besserer Löhne und 1 Milliarde Euro für Mehrleistungen in der häuslichen Pflege. Alleine an dieser Stelle wird der Unfug der Reform im Kontext der Maxime ambulant vor stationär deutlich, 5 Mrd. benötigte Mittel für stationäre und nur 1 Mrd. Mittel für ambulante Versorgungsformen.

Die Anreize aus der Reform zur privaten Vorsorge sind nur folgerichtig, wenn man sich die finanziellen Auswirkungen bewusst macht. Aktuell haben 3,7 Millionen Menschen in Deutschland eine private Pflegezusatzversicherung.

Egal ob über Beitragszahlungen oder über Steuermittel, die Frage der Generationengerechtigkeit wird lauter werden und in ihrer Intensität mit den Anforderungen an die soziale Pflegeversicherung steigen. Es bleibt wie es ist, immer weniger Einzahler haben die Lasten für immer mehr Empfänger zu stemmen.

Positiv wird sein, dass mit der Pflegereform 2021 der Anteil der Sozialhilfeempfänger deutlich zurück gehen wird.  Man geht von Entlastungen der Sozialhilfeträger von über 2 Milliarden Euro aus.  Die dazu kommenden Investitionskosten liegen, so wird erwartet, bei  weniger als einer Milliarde.

Potential für die Versorgung im häuslichen Umfeld bietet das Entlastungsbudget, das, wenn es vollständig gewährt wird, knappe 900€ pro Jahr mehr bringt. Die angedeutete bis zu 40% Anrechnung von Sachleistungen kann z.B. im PG3 wenn es so kommt wie erwartet und wenn die Bedingungen für Anbieter erfüllbar sind, 3.600/Jahr Mehreinnahmen bringen. Die 5% Pflegegeldanhebung braucht nicht berücksichtigt zu werden, sie wird nicht einmal den Mindestlohnanstieg abdecken.

Damit kein falscher Eindruck entsteht, Pflegereform finde ich grundsätzlich gut, zu viele Fragen sind aber noch ungeklärt um eine Beurteilung abschließend abgegeben zu können. Verfestigt hat sich bei mir aber der Eindruck, dass die Finanzierung einem Pulverfass gleicht und erneut der Relevanz der Pflege im häuslichen Umfeld nicht annähernd Rechnung getragen wird. Und da kommt abschließend die Frage bei mir auf, ist der ambulante Bereich der Pflege und Betreuung überhaupt bei der Ausarbeitung dieser Reform vertreten gewesen? Wer vertritt die Interessen dieser wichtigen Branche?