Consultant & Berufsbetreuer (rechtliche Betreuungen)

Auszug, das vollständige Interview finden Sie im Buch:

CP: Mir fällt gerade ein, dass es mal einen Aufschrei in der Branche gab, als die vielen Schlecker-Frauen neue Jobs suchten.

NA: Ja, da hatte Jemand die geniale Idee die ganzen Schlecker-Frauen doch für den Pflegebereich umzuschulen. Solche Ansätze sind purer Quatsch. Eine Schlecker-Frau, die zwar auch mit Kunden zu tun hatte, ist nicht zwangsläufig berufen, in der Pflege einen guten Job zu machen, eben weil es keine Berufung ist. Ich weiß nicht, ob die wirklich in der Lage wäre, auf die Bedürfnisse von zu Pflegenden einzugehen.

CP: Das hat auch eine fatale Außenwirkung für das ganze Berufsbild. Das impliziert ja: Jeder, der zwei Hände und zwei Beine hat, kann pflegen. Das wertet das Berufsbild ab.

NA: Das war jahrelang ja auch der Grund dafür, warum relativ bescheiden bezahlt wurde. Annahme war, dass jeder der zwei Kinder und einen einigermaßen gesunden Verstand hat, kann in der Pflege loslegen. Vom Grundsatz her wäre es ja auch so, weil jeder der Kinder großgezogen hat, kann vielleicht auch die Hilfestellung beim Erwachsenen geben. Aber nur, wenn eine entsprechende Ausbildung vorgeschaltet ist.

Nochmal zusammengefasst: das Arbeitsklima muss passen, die Zusammenstellung der Teams ist zu beachten, Teamarbeit, Kooperation muss gefördert werden. Das sind ganz kleine Schritte. Dafür braucht es kein politisches Handeln, sondern das muss einfach in den Köpfen der in der Pflege arbeitenden Menschen ankommen.

CP: Wie haben sich denn die Gehälter der Pflegefachkräfte entwickelt von 1996 bis heute?

NA: Damals waren es 3.000 DM, heute sind es 3.000 Euro und eine Pflegedienstleitung kommt locker auf 4.000 Euro und mehr mittlerweile. Gerade Letztere haben einen unglaublichen Wert auf dem Arbeitsmarkt.

Ohne PDL kannst du nichts und niemanden betreiben. Als Ambulanter Pflege-dienst kannst du deinen Pflegedienst nicht weiterführen, wenn du keine PDL und keine Stellvertretung hast. Voll-zeitstellen, die einfach per Gesetz aus rechtlichen Gründen da sein müssen. Aber teilweise auch nicht unbedingt super produktiv sind. Ich habe eine Menge Pflegedienstleitungen erlebt, die haben so eine Halbwertzeit von 1 bis 2 Jahren. Danach gehen sie in ein anderes Haus oder gehen nochmal komplett aus der Branche, stellen fest, dass man nirgendwo einfach Führungskraft werden kann, ohne jegliche Kompetenz zu haben, und kommen dann wieder zurück. Die wenigsten PDL haben tatsächlich Führungsqualitäten. Sie ergreifen diesen Strohhalm PDL-Fortbildung, weil sie nicht mehr am Menschen arbeiten wollen. Wenn diese dann Teams leiten sollen, trotz mangelnder Führungskompetenz, und dann beispielsweise bestimmte Personen bei der Planung bevorzugen, dann ist es klar, dass irgendwann die Stimmung kippt, die Stimmung schlecht ist. Da geht man dann als Pflegekraft irgend-wann nicht mehr hin, und die Einrichtung hat einen hohen Krankenstand.

CP: In welcher Position ist denn eine Pflegefachkraft oder eine PDL heute, im Vergleich zu damals auf dem Arbeitsmarkt?

NA: Die können sich aussuchen, wo sie arbeiten wollen, und die gehen heute aus dem Heim raus und sind morgen sofort in einem anderen Heim im Einsatz.  Fachkräfte sind bei uns mit wehenden Fahnen raus, haben woanders sofort einen Job bekommen, und zwei Jahre später standen sie auch wieder vor unserer Tür, und hatten auch wieder sofort einen Vertrag bekommen.

Die Fachkräfte, die examinierten Fachkräfte sind sich ihres Wertes voll bewusst und spielen das aus.

CP: Letzte Frage zu diesem Thema: Immer mehr Rentner wollen Ihre Rente aufstocken. Immer mehr Rentner, die nicht unbedingt aufstocken müssen, aber noch irgendetwas Sinnvolles in ihrem Rentnerdasein machen wollen, kommen wieder zurück auf den Arbeitsmarkt. Können wir hier nicht altersgerechte Aufgaben in der Pflege finden?

NA: Das ist auf jeden Fall eine Überlegung wert. Aber wir können nicht nur händchenhaltende Kräfte gebrauchen, sondern wir brauchen Menschen, die wirklich die Arbeit, die Grundpflege tun, und die Grundpflege heißt: den Menschen zu waschen, anzuziehen, aus dem Bett in den Rollstuhl transferieren.  Dafür braucht es schon eine gewisse körperliche Kraft und eine gewisse körperliche Unversehrtheit. Selbst wenn ich jemanden im Bett wasche, muss ich den auch mal drehen und wenden.  Wenn der zu Pflegende dann vielleicht sogar Abwehrverhalten auf Pflegemaß-nahmen hat, brauche ich Geduld und auch körperliche Kraft. Obwohl es ausreichend Techniken gibt, die man er-lernen kann.

CP: Sie meinen also, dass diese älteren Menschen aushelfen und Lücken füllen können, oder einfach mit Ihrer Anwesenheit helfen. Aber der Arbeitsmarkt kommt nicht darum herum, dass junge Menschen nachkommen und den Beruf ergreifen.

Gehen wir weiter in Ihrer beruflichen Laufbahn, Frau Aue: Nach einem langen Ausflug in die Finanz- und Unternehmensberatungsbranche, sind Sie als Seniorenresidenz-Beratung in die Branche zurückgekehrt.

NA: Das stimmt, in dieser Funktion waren die Schwerpunkte, Öffentlichkeitsarbeit und Vertrieb.

CP: Vertrieb? Seit wann braucht eine Seniorenresidenz vertriebliche Maßnahmen, die haben doch alle langen Wartelisten und viel mehr Nachfrage als Kapazität! Das ist jetzt natürlich übertrieben dargestellt, aber so in etwa trifft es doch die aktuelle Situation, oder?

NA: Heute ja, aber damals, Ende 2010, als ich angefangen habe, waren wir in der Situation, dass hier ein Überhang an Pflegeplätzen vorlag. Das heißt, wir haben um jeden einzelnen Bewohner gekämpft. Wir haben jede Menge Anstrengungen unternommen, um die Angehörigen und die Bewohner für unser Haus zu begeistern.

CP: Ab welchem Zeitpunkt, und wodurch hat sich das gedreht?

NA:  Der Pflegebedarf als solches ist angestiegen, und es wurden keine neuen Einrichtungen eröffnet, nicht im großen Stil. Dann gab es mit 10-jähriger Übergangsphase seit 2009 eine Landes Verordnung, dass es hier in Baden-Württemberg nur noch Einzelzimmer für jeden Bewohner geben soll. Das hat natürlich in der Summe zu einer Verknappung geführt.

CP: Was waren damals die größten Herausforderungen für Sie in Ihrer Funktion?

NA: Das Thema „Qualität, Qualitätssicherung“. Zusätzlich der Wohlfühlfaktor im Haus, das Haus als solches musste attraktiv gemacht werden, das waren anfänglich große Herausforderungen. 63 Apartments für betreutes Wohnen steigert die Attraktivität von so einem Heim.

Angehörige haben nachgefragt, was wird mit den Bewohnern veranstaltet? Welche Möglichkeiten haben die? Was wird angeboten? Lesekreise, Gruppengymnastik, Tanz etc., solche Fragen sind heute undenkbar. Das war damals aber wichtig. Was findet außer der Pflege noch statt, was wird hier getan, damit der Wohlfühlfaktor stimmt.

CP: Gibt es heute andere Anforderungen aus Kundensicht?

NA: Heute ist der Kunde froh, wenn ich sage, ich habe Platz für Sie. Das hat sich komplett gedreht. Das hat sich wirklich komplett gedreht.

Am Anfang habe ich Besichtigungstouren mit den Angehörigen gemacht, habe alles Mögliche zeigen und eine rosarote Welt darstellen müssen. Irgendwann waren gar keine persönlichen Gespräche mehr notwendig, ich konnte alles komplett am Telefon abwickeln. Es fragte keiner mehr nach einem Wohlfühlfaktor, sondern die Menschen waren einfach nur glücklich, wenn ich gesagt habe „Ja, ich habe einen Platz“.

Im Heimbereich müssen die Leute mittlerweile nehmen, was sie bekommen können.

CP: Welche Entwicklung werden wir bei den Kosten für eine Heimunterbringung in den nächsten Jahren sehen?

NA: Die gehen nach oben. Bedingt einfach durch die Personalkosten. Zusätzlicher Faktor, wenn ich eine Einrichtung habe, bisher mit 150 Plätzen, die jetzt wirklich komplett auf Einzelzimmer umgestellt hat, bedeutet das für beispielsweise meine damalige Einrichtung folgendes: Von 150 Plätzen auf knapp 104 runter, das ist natürlich schon ein Unterschied. Das heißt, es wird zwar ein bisschen weniger Personal benötigt, aber die Kosten der Immobilie laufen weiter. Manche Betreiber haben damals von kalter Enteignung gesprochen, als die Verordnung ausgesprochen wurde.

CP: Also durch die Einzelzimmer Verordnung weniger Einnahmen, weil weniger Kapazität, bei beinahe gleichbleibenden Kosten.

NA: Richtig!